Archive for Juni, 2011

30. Juni 2011

Hast du das gemacht?

Neulich, als meine Freundin zu Besuch war, streunte sie, während ich in der Küche war, in den Räumlichkeiten umher und plötzlich vernahm ich ein überschwängliches „Wow“ aus dem Wohnzimmer kommend. Nachdem ich mich wieder zu ihr gesellte, fragte sie mich: „Hast du das gemacht?“ und streckte ihren Zeigefinger in Richtung Wand. Ihre Begeisterung galt dem Gemälde von Bettina Beranek. „Ja natürlich“, kam mir blitzschnell als Gedanke und lag mir auch schon auf der Zunge, „Nein, leider nicht“ war letztendlich dann die ehrliche Antwort.

Und dennoch war die Frage ein Kompliment für mich.  Dass sie mir doch so viel Talent zutraute, hatte etwas Rührendes. Dazu eine kleine Vorgeschichte: Seit meinen frühen Kindheitstagen liebte ich erst das Herumkritzeln, später dann das Zeichnen und danach das Malen. In einem Brief meiner Volksschullehrerin, mit dem sie mich für meinen weiteren Lebensweg verabschiedete und der zu meinen liebsten Erinnerungsstücken zählt, gibt es eine interessante Anmerkung: „P.S.: Wenn du eine berühmte Malerin bist, schicke mir bitte ein Bild“. Ein Satz, der mir große Inspiration war, weit über seine eigentliche Bedeutung hinaus. Eine Profession wurde daraus nie, auch weil das Talent aus heutiger Sicht doch nicht so groß gewesen ist. Aber Spass macht es immer noch, verschiedenste Malutensilien über die unterschiedlichsten Malgründe gleiten zu lassen, seine Gedanken auszuschalten, der Kreativität freien Lauf zu lassen und am Ende ein Ergebnis in den Händen zu halten.

Aus diesem Grund möchte ich heute empfehlen, mal selbst Pinsel und Leinwand in die Hand zu nehmen und los geht’s!

16. Juni 2011

Bettina Beranek im Gespräch

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Aus der Serie „Vorbeigänger“

 

Mich faszinierte die Frage: Wie funktioniert Sehen?“, erklärt Bettina Beranek in einem Gespräch und weist damit auf den primären Punkt hin, um den sich die Bildserie „Vorbeigänger“ eigentlich dreht:

Ausgangspunkt für diese Serie war, den Gegensatz zwischen zentralem Sehen (vom Auge fokussiert) und peripherem Sehen (aus dem Augenwinkel) bildlich umzusetzen. Unsere Augen sind ständig in Bewegung. Erst durch sogenannte Blicksprünge sind wir imstande, uns ein Gesamtbild von unserer Umgebung zu machen. Dabei sehen wir immer nur einen kleinen Teil der Welt fokussiert. Unsere Augen machen durchschnittlich 3 bis 5 Blicksprünge in der Sekunde, sie tasten ständig unsere Umgebung ab, senden blitzschnell diese Einzelbilder an unser Gehirn, wo diese Informationen dann zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden.“

Aber  nicht nur der mechanische Aspekt des menschlichen Auges inspirierte Bettina Beranek zu dieser Serie: In weiterer Folge geht es auch um Zeugenschaft. Beobachten wir zum Beispiel das selbe Ereignis, so können Nacherzählungen dennoch extrem voneinander abweichen, weil wir sehr viele Dinge unterschiedlich wahrnehmen.“ Differenzierte Aufmerksamkeitsschwerpunkte, persönliches Interesse, gesellschaftlicher Background und einige andere Kontexte ergeben unendlich verschiedene Blickpunkte. Mit einem geringen Informationsgehalt ist der Mensch in der Lage mittels Erinnerungen, Assoziationen zu wecken. Dadurch ergeben sich spannende Fragen wie etwa: Was ergänze ich durch mein Wissen? Man kann eben nicht alles zur gleichen Zeit sehen. Man muss ständig Entscheidungen treffen.“

So hat sich Bettina Beranek ganz bewusst dafür entschieden, die Fotografie in ihre Arbeit mit einzubeziehen, ein Medium, dass sie schon seit längerem faszinierte. Sieht man genauer hin, so erkennt man in ihrer Malerei hie und da eine klare Linie in dieser Welt der Unschärfe. „Unsere Sehgewohnheit, unscharfe Bilder zu lesen, hängt sehr eng mit der Fotografie zusammen. Uns ist hier nur erlaubt, eine Ebene scharf zu stellen. Indem ich aber gewisse Linien herausnehme und klar definiere, entspricht dies dem zentralen Sehen. Zudem ergibt sich eine Irritation in der Raumtiefe, die Personen in der Ebene kippen ein wenig nach vorne. In der Fotografie kann so etwas nicht passieren. Es soll ein Versuch sein, dieses Schema zu brechen.“

Die Fotografie erscheint nicht nur in der Theorie als wichtiges Hilfsmittel für Bettina Beraneks Arbeit an den Vorbeigängern. Ich bin auf die Straße gegangen, um fotografische  Skizzen von Personen zu fertigen. Nicht, um bestimmte Personen zu fotografieren, sondern es ging mir um bestimmte Lichtverhältnisse, um die Wechselbeziehung von Licht und Schatten. Der Mensch ist eigentlich nur Mittel zum Zweck. Die Fotografie war auch hilfreich, um gefrorene Gehbewegungen einzufangen. Jeder weiß wie Menschen gehen, aber das Auge kann nicht einfach auf die Stopptaste drücken.“ Aus einem Sammelsurium aus Fotos und Skizzen entstand somit eine Arbeitsgrundlage für die Serie „Vorbeigänger“.

4. Juni 2011

Interpretation – Ein Versuch

So unterschiedlich die Geschmäcker in Bezug auf die Ästhetik eines Bildes sind, so unterschiedlich kann die Interpretation jedes einzelnen Individuums für ein und dasselbe Bild sein. Subjektivität ist hier das Zauberwort, weil jeder von uns eine spezielle Wahrnehmung besitzt, nämlich seine ganz persönliche. Deswegen soll dies nur ein Versuch sein, mein Versuch, das aktuelle Bild für ein Jahr (siehe Artikel „Das Auserwählte“) von Bettina Beranek zu interpretieren:

Lassen Sie uns, lieber Leser, beim vorerst naheliegendsten Hinweis beginnen: Dem Titel. Normalerweise rate ich davon ab, sich gleich auf den Titel eines Werkes zu stürzen, da dieser oft, sobald einmal gelesen, den Raum für Interpretationen erheblich einschränken kann. Da jedoch die Kunstwelt weitgehend mit „Ohne-Titel-Bildern“ übersäht ist, schmälert diese Tatsache sogleich auch wieder das Risiko, seine Phantasie dadurch zu zügeln. In unserem konkreten Fall gibt es einen Titel: „Aus der Serie Vorbeigänger„. Was aber impliziert diese Betitelung?

Zum einen ist dadurch klar, dass mehrere Gemälde dieser Art existieren, die wiederum aufschlüsseln, dass sich die Künstlerin einen längeren Zeitraum bzw. intensiver mit diesem Thema beschäftigt haben muss. Zum anderen benennt der Titel das, was wir ohnehin erahnt hätten: Wir sehen also Vorbeigänger auf dem Weg zur Arbeit, nach Hause oder möglicherweise auch zum Einkaufen. Sie befinden sich nicht im Mittelpunkt des Bildes, ja fast macht es den Eindruck, als wären sie im Hintergrund platziert. Vor ihnen befindet sich die Straße, Asphalt wenn man so möchte, wie luftleerer Raum. Grau dominiert in der Farbkomposition, einzig die Kleidung setzt farbige Akzente und zieht den Blick des Betrachters an.

Eine Eigenschaft fällt ad hoc auf: Die Unschärfe des Bildes. Wir sehen also nicht nur bestimmte Menschen auf der Straße, die sich fortbewegen, wir sehen sie unscharf. Doch wann sieht man etwas unscharf? Nicht etwa durch die Augen eines Sehschwachen, der seine Brille vergessen hat, sondern die Unschärfe steht für eines der Hauptprobleme der westlichen Zivilisation. Wer von uns kann sich daran erinnern, wie die Menschen ausgesehen haben, die uns heute auf der Straße begegnet sind, die unseren Weg gekreuzt haben? Wer von uns kann sich daran erinnern, wie die Person ausgesehen hat, die im Zug oder in der U-Bahn neben uns Platz genommen hat? Was haben sie angehabt, welche Gesichtszüge hatten sie?                                                                                                      

In Wahrheit gehen die meisten von uns doch mit einem gesenkten Blick durch die Straßen, in Wahrheit möchten wir doch gar nicht sehen, was rund um uns passiert, weil wir zu beschäftigt sind, mit dem, was in uns vor geht. Wenn wir mal aufschauen, dann schauen wir nicht richtig hin. Ist das ein Verbrechen? Nein, aber wir verlieren leider nach und nach den Blick für das Wesentliche – unsere Mitmenschen. Die Stimme unseres natürlichen Instinkts wird immer leiser, weil unsere überreizten Sinne damit beschäftigt sind, die lebensnotwendigen Informationen für uns zu filtern. Die moderne Welt, wenn wir ehrlich sind, dreht sich viel zu schnell, ist viel zu oberflächlich für den Menschen, der sich eigentlich sein ganzes Leben lang nach der Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens sehnt.

Dabei entgehen uns etliche kostbare zwischenmenschliche Momente, die uns den Tag versüßen könnten. Mit wachen Augen durch die Welt zu gehen, ermöglicht Blickkontakt zu einer völlig fremden Person, ein Lächeln, ein nettes Gespräch. Nur so merken wir, wenn jemand Hilfe benötigt. Diese Momente bringen uns zurück ins Hier und Jetzt, lassen die Welt sich ein wenig langsamer drehen und machen uns aufmerksam auf die Möglichkeiten, die das Leben bietet.

Zu welcher Interpretation oder welchen Gedanken, lieber Leser, inspirieren dich die „Vorbeigänger“?

Vorschau: Die Künstlerin, Bettina Beranek, über die Hintergründe zu ihrer Serie „Vorbeigänger“